„Moralisch absolut daneben“ – CDU-Landratskandidat Marco Prietz über die Masken-Affäre der Union

von Michael Krüger, Rotenburger Kreiszeitung vom 08.03.2021

Rotenburg/Bremervörde – Geld machen in der Pandemie als Bundestagsangeordneter mit dem fragwürdigen Geschäft um Corona-Masken? Marco Prietz ist stinkwütend. Der CDU-Kreistagsfraktionschef und Landratskandidat seiner Partei hat am Wochenende in sozialen Netzwerken in scharfen Tönen das Verhalten seiner „Parteifreunde“ im Bundestag, Nikolas Löbel und Georg Nüßlein, scharf kritisiert. Der Bremervörder bezeichnet deren Handeln als „moralisch verwerflich“, als „Schande“, „unglaubliche Unverschämtheit“ und wirft den Bundestagspolitikern ein hohes „Ausmaß an Egoismus und Empathielosigkeit“ vor. Wir haben beim 32-jährigen Prietz nachgefragt, wie integer Politik sein muss.

Werfen Sie Nikolas Löbel und Georg Nüßlein deren persönliche Bereicherung in der Pandemie oder die zögerlichen Eingeständnisse von Schuld vor?

Beides. Vor einem Jahr waren Masken selbst im medizinischen Bereich nur knapp verfügbar. Wie kann man da als Bundestagsabgeordneter seine Stellung und Kontakte ausnutzen, um Masken aus China zu vermitteln und für jede Maske zwölf Cent Provision zu kassieren? Die anfänglichen Reaktionen von Nüßlein und Löbel deute ich so, dass da offenbar kein Unrechtsbewusstsein bestand. Die haben das scheinbar für völlig normal gehalten.

Georg Nüßlein will sein Mandat als Bundestagsabgeordneter noch behalten, Nikolas Löbel gibt seines nun nach großem öffentlichen Druck auf. Es geht wohl auch um Pensionsansprüche. Ist das in Ordnung?

Richtig wäre gewesen, wenn beide sofort ihre Bundestagsmandate zurückgeben und nicht erst mit dem Ende der Wahlperiode im Herbst. Über die Motive dieser Verzögerung kann man nur spekulieren, aber ich schätze das ähnlich ein. Echte Reue sieht auf jeden Fall anders aus.

Klar ist doch aber: Auch in der Pandemie wird Geld verdient. Masken und Schnelltests kosten Geld. Unsere Gesundheit ist doch weitgehend privatwirtschaftlich organisiert. Warum also diese ganze Aufregung?

Georg Nüßlein und Nikolas Löbel sind eben keine einfachen Privatpersonen. Beide sind gewählte Bundestagsabgeordnete und haben genau diese hervorgehobene Stellung genutzt, um die Masken zu vermitteln und daran kräftig mitzuverdienen. Damit haben sie das Vertrauen der Wähler verspielt. Ohne ihre politischen Kontakte und Zugänge hätten sie diese Geschäfte vermutlich nicht machen können. Juristisch werden das andere Stellen aufarbeiten, politisch und moralisch finde ich das aber absolut daneben.

Fehlende Integrität ist ein Dauerbrenner der Vorwürfe an Politiker. Wie gewinnt man Vertrauen zurück?

Indem man sich als gewählter Politiker auf das besinnt, was man ist: Volksvertreter. Um die Menschen im Rat, im Kreistag oder in einem Parlament zu vertreten, sollte man ihnen zunächst einmal zuhören und mit ihnen im Gespräch sein. Bürgernähe ist in Corona-Zeiten noch wichtiger, als sie sowieso schon ist. Deshalb biete ich telefonische Sprechstunden an, nutze die sozialen Medien und führe auch unter Einhaltung der Corona-Regelungen Gespräche vor Ort. Dabei ist mir wichtig, authentisch und ehrlich zu sein. Ich verspreche niemandem etwas, das ich nicht halten kann. Das wäre langfristig zum Scheitern verurteilt. Letztes Jahr im März habe ich beispielsweise mit dem Chef des Gasthofs gesprochen, in dem wir 2015 unsere Hochzeit gefeiert haben. Ich habe ihm gesagt, er soll für sich einen Plan entwickeln, was er tut, wenn 2020 keine einzige Hochzeit oder Weihnachtsfeier mehr möglich sein sollte. Er war entsetzt und wollte mich zunächst für verrückt erklären. Im Nachhinein ist er dankbar, dass ich ihm frühzeitig schonungslos ein Szenario aufgezeigt habe, das dann leider eingetreten ist. Ich habe ihn und viele andere Betriebe immer auf die Rettungsprogramme von Land und Bund hingewiesen und war stets im Austausch über neue Corona-Regeln und die Entwicklung der Lage. Ich bin überzeugt, dass Politik das Vertrauen der Menschen gewinnen und behalten kann, wenn man diese „Basisarbeit“ leistet.

Sind nicht auch „wir Medien“ daran Schuld, dass in der Berichterstattung immer von hehrer Moral die Rede ist, aber wir doch alle in Wirklichkeit etwas lockerer damit umgehen?

Manchmal überziehen die Medien natürlich, ganz besonders auf Bundesebene. Da wird gefühlt gelegentlich die eine oder andere Sache ohne nähere Überprüfung hochgeschrieben, um eine schnelle Schlagzeile zu produzieren. Dabei wird dann auch vergessen, dass selbst Spitzenpolitiker nur Menschen sind und der Mensch an sich ist nun einmal unvollkommen. Im Falle von Nüßlein und Löbel ist die Empörung angesichts der Belege allerdings völlig gerechtfertigt.

Haben Sie schon einmal „unmoralische Angebote“ als Politiker oder Beamter erhalten?

Nein. Noch nie.

Sie schimpfen vor allem auf die Politik in Berlin, die Hauptstadt sei eine „Herausforderung für den Charakter“. Ist lokale Politik ehrlicher?

Ja, in der Kommunalpolitik kann man leichter „Mensch bleiben“ als im großen Berlin. Wir sind hier ganz nah am Bürger. Da bleibt man auf dem Teppich. Berlin ist natürlich ein beeindruckendes und historisches Umfeld. Das geht schon räumlich los mit dem Reichstag, dem Bundeskanzleramt oder dem Brandenburger Tor. Verbände, Journalisten und Unternehmen bemühen sich um Sie, und die Termindichte und Taktzahl ist häufig brutal. Die meisten Abgeordneten, die ich kenne, können dazu eine professionelle Distanz aufbauen und bleiben anständige Leute. Manche verlieren jedoch die Bodenhaftung und heben ab. Das ist der Nährboden für das Fehlverhalten einiger weniger, die dann den Ruf der gesamten Politik beschädigen.

Ist es leicht, immer eine Grenze zu ziehen? Ein Bierchen auf dem Schützenfest, ein Essen mit dem Firmenchef, ein Wochenend-Trip ins Häuschen des Bankvertreters…

Offen gesagt finde ich es einfach, da einen klaren Kurs zu fahren. Ich zahle meine Pizza selbst, wenn ich mich mit jemandem zum Gespräch treffe. Auf die Idee, mich von irgendwem in ein Ferienhaus einladen zu lassen, käme ich im Leben nicht. Wie kann man für so einen Blödsinn alles riskieren, was man sich aufgebaut hat? Ich habe in den vergangenen zehn Jahren Kommunalpolitik über 1 000 Termine gemacht und bin wenig zuhause bei meiner Familie. Diese investierte Zeit und Arbeit schmeißt man nicht weg für vorübergehende Annehmlichkeiten oder Provisionen. Ich denke, dass der normale Menschenverstand eigentlich ausreicht, um zu merken, dass sowas nicht geht.

Hinterzimmergespräche sind nicht immer gleich Klüngelei. Vereinbarungen ohne Öffentlichkeit nicht immer moralisch falsch. Richtig?

Ja. Der Begriff „Hinterzimmergespräch“ malt ein Bild von düsteren Gestalten, die im Verborgenen die Strippen ziehen. So aufregend ist das aber in Wahrheit gar nicht. Manche Gespräche brauchen einfach Vertraulichkeit und einen geschützten Raum, um offen miteinander sprechen zu können. Das ist in der Politik nicht anders als im Privatleben. Klar ist aber, dass politische Beratungen in den Gremien erfolgen müssen, die dazu demokratisch legitimiert sind. Entscheidungen müssen transparent und nachvollziehbar getroffen werden. Sonst stoßen sie zu Recht nicht auf Akzeptanz.

Wenn Sie Landrat sind: Legen Sie alle Ihre Einkünfte offen?

Die Gehälter von Landräten oder Bürgermeistern sind ohnehin transparent und im Internet für jedermann einsehbar. Insofern werde ich die Einkünfte im Falle meiner Wahl auch auf meiner Homepage veröffentlichen. Das ist nun wirklich kein Geheimnis.

Werden Politiker ganz grundsätzlich gut genug bezahlt? Oder ist die Diskrepanz zu Einkommen in der freien Wirtschaft nicht Teil des Problems und Einfalltor für Bestechlichkeit oder Vorteilsnahme?

Die Bezahlung von Politikern ist völlig angemessen. Mir ist auch niemand bekannt, der da wirtschaftliche Not leidet. Natürlich gibt es Positionen in der freien Wirtschaft, die besser vergütet sind. Aber da kann ich nur sagen: Wem es nur ums Geld geht, der soll halt einen anderen Berufsweg einschlagen. Politik sollte man aus Überzeugung machen und nicht, um reich zu werden.

Abschließend, mal ehrlich, nur unter uns: Ab welcher Summe werden Sie schwach?

Sympathisch formulierte Frage, aber die Antwort ist ganz einfach: Mich können Sie nicht kaufen. Die Integrität des Landrates als Repräsentant eines Landkreises mit 164 000 Einwohnern und als Chef einer Kreisverwaltung mit mehr als 1 000 Beschäftigten ist von unschätzbarem Wert. Ich vermisse in meinem Leben nichts, was man mit Geld bekommen könnte. Meiner Familie und mir geht es gut, und wir sind dankbar für das, was wir haben.

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